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Eine letzte Liebesgeschichte – Brief 2: Was ist Liebe oder Liebe im Wandel des Lebens

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Liebe Freundin, was ist überhaupt Liebe? Was ist die Liebe, die wir Menschen häufig suchen und für die wir so manche Dummheit in Kauf nehmen? Mir wurde vor einigen Tagen bewusst, dass ich diese Frage nicht so beantworten konnte, als dass es für mich zufriedenstellend wäre. Ich wusste nicht, was für mich die Liebe ist und so verbrachte ich die letzten Tage damit, mir Gedanken darüberzumachen und von diesen Gedanken möchte ich dir in diesen Brief berichten.

Zuallererst muss ich sagen, dass es die „Liebe“ nicht gibt, da jeder etwas anderes unter ihr versteht und so möchte ich eigentlich nur davon schreiben, was für mich persönlich die Liebe ist. Wie müsste eine Liebesbeziehung für mich aussehen, in der ich mich wohlfühle? Um das zu erkunden, reiste ich in meinen Gedanken in meine Kindheit zurück und ging anschließend Tag für Tag und Jahr für Jahr meine Lebensgeschichte durch, um zu verstehen, was für mich Liebe ist und was eine Liebesbeziehung für mich ausmacht, die es wert ist, so genannt zu werden.
Die erste Liebe, der ich wohl in meinem Leben begegnete, war die Liebe meiner Eltern zu mir und von mir zu ihnen. Die „Eltern-Kind-Liebe“ als ein tiefes Gefühl von Zuneigung und Vertrauen unter engen Verwandten. Doch das ist ja nicht die Liebe, die viele Menschen in ihrem Leben suchen oder von der man häufig spricht und so war die „Eltern-Kind-Liebe“ für mein Verständnis von Liebe auch nicht wirklich relevant.
Die Liebe, die die meisten Menschen ihn ihren Leben suchen, ist die Liebe zu einem fremden, nicht blutsverwandten Menschen. Es ist häufig die Liebe, die als Zwitterwesen aus romantischer und sexueller Liebe daherkommt. Wobei die sexuelle Liebe, also das körperliche Begehren, für mich bisher kaum eine Rolle spielte, wie ich bei der Analyse meiner Vergangenheit feststellte.

Doch, zurück zu meinem Verständnis von Liebe. Das erste Mal, dass ich dachte, dass ich verliebt sei, war in der vierten Klasse. Es war eine selbst suggerierte Liebe, zu einer meiner Klassenkameradin. Damals dachte ich, dass ich sie liebte, da ich sie lustig und attraktiv fand. Wobei „attraktiv finden“ für das, was ich empfand, vielleicht die falsche Beschreibung ist. Ich fand das Mädchen, das ich dachte zu lieben, eher interessant und war fasziniert davon, wie sie langsam zur Frau reifte. Ich fand es faszinierend, wie sie zur Frau wurde und sich ihre weiblichen Reize mit der Pubertät mehr und mehr entwickelten. Doch das war nicht der eigentliche Grund, warum ich damals dachte, dass ich sie liebte. Der eigentliche Grund war, dass ich zu dieser Zeit schon viele Kinder- und Jugendbücher gelesen hatte, in denen die Liebe thematisiert wurde und ich aufgrund der Beschreibung der Liebe in ihnen, die Idee toll fand, jemandes Vertrautes zu haben, mit dem ich mich austauschen, alle möglichen und unmöglichen Dinge tun und vielleicht sogar gemeinsam unsere Sexualität entdecken könnte. Es war eine kindische Idee von Liebe und aufgrund meiner Wesensart zum Scheitern verurteilt, denn sobald ich meinen Mund aufmachte, kam nur wirres Zeug aus ihm und als ich versuchte, ihr einen Liebesbrief zu schreiben, nahm er eine verstörende Form an. Der Liebesbrief war verstörend, da er eigentlich nur von mir und was ich mir wünschte, handelte und nicht von einer gegenseitigen, ehrlichen Liebe. Es war ein eher von Narzissmus geprägter Brief, der von der Liebe zu mir selbst handelte, von mir, der nur dachte, jemand andere zu Lieben, um durch eine eventuelle Erwiderung der „Gefühle“ Bestätigung seiner selbst zu finden. In diesem Brief schrieb ich davon, was ich mir wünschte, aber kein Wort davon, was ich für sie sein wollte und wie ich gedachte ihr Leben zu bereichern.
Wie bereits geschrieben, scheiterte aufgrund dessen meine Annäherung an das Mädchen grandios. Ich scheiterte und damit auch mein erstes, kindisches Verständnis von Liebe.

Nach diesem ersten „Verliebtsein“, das gescheitert war, hakte ich die Liebe für mich erst einmal ab und es gab viele Jahre keine Ereignisse und Geschehnisse in meinem Leben mehr, die auch nur im Entferntesten etwas mit Liebe zu tun hätten. Ich wurde älter und vergrub mich in Büchern. Ich suchte die Flucht aus dieser Welt und reiste in meinen Gedanken in fantastische Welten, von denen mir die Bücher erzählten. Man könnte auch sagen, dass diese erste Ablehnung in meinen jungen Jahren Wunden hinterließ, die erst einmal verheilen mussten, bevor ich wieder bereit wäre, an die Liebe zu glauben.

Doch mit der Zeit merkte ich, dass die Bücher nicht nur eine Flucht waren, sondern dass ich auch unbewusst begonnen hatte, in ihnen eine Antwort darauf zu suchen, was Liebe überhaupt ist. Was ist die Liebe, deren erstes Verständnis, dass ich von ihr hatte, durch die Ablehnung, die ich in meiner Kindheit erfuhr, zerstört wurde? Was ist die Liebe, die wieder den Platz in meinem Herzen füllen könnte, der dadurch frei geworden ist, dass mein kindisches Bild der Liebe gänzlich zerstört wurde? Ich suchte und suchte eine Antwort darauf und so las ich bald nicht mehr nur Fantasyromane und Gegenwartsliteratur, sondern auch Bücher der deutschen Romantik. Beim Lesen der Bücher fiel mir schließlich auf, dass es nicht die eine Liebe gibt, sondern je nach Epoche, Zeit und sozialen Umfeld verschiedene Verständnisse von ihr. Diese Masse an Möglichkeiten, was Liebe ist und wie man sie auslebt, schüchterte mich ein und ich wusste bald gar nicht mehr, ob ich bestimmte Gefühle als Liebe sehen sollte oder ob sie nur ein körperliches Verlangen waren, das mir das „Es“ eingab. Ein Verlangen, dass mir die Evolution eingab, die mich dazu bringen wollte, meinen Trieben, also meinen Hormonen, nachzugeben und meine Sexualität auszuleben. Doch war diese triebgesteuerte sexuelle Liebe, die Liebe, die ich suchte? Nein, schon damals kam ich zu der Überzeugung, dass das nicht die Liebe ist, die ich suchte. Ich suchte eine andere Liebe. Bei der Lektüre all dieser Bücher wurde mir bewusst, dass ich eine Liebe suchte, die nicht rein körperlich ist, sondern mit einem tiefen Verständnis des Partners einhergeht. Es sollte eine Liebe sein, in der man sich mit seinem Partner versteht, ihm vertraut und mit ihm gemeinsam wächst. Doch wie sollte ich solch eine Liebe in jungen Jahren finden? Wie sollte ich diese Art der Liebe finden, wenn ich noch nicht einmal selbst wusste, was ich im Leben erreichen und noch tun wollte? Ich wusste es nicht!

Die Zeit verging und ich wurde älter, durchlebte meine Schulzeit und bekam bei Freunden und Bekannten mit, wie bei ihnen die „Liebe“ erwachte, wobei für viele die erste Liebe etwas besonders Schönes war. Die erste erwiderte Liebe war für sie etwa schönes, wobei diese Liebe oft nicht allzu lange hielt, da sich die Liebenden noch entwickelten, ihren Platz im Leben suchten und sich noch ihr ganz persönliches Weltbild erschufen. Diese Entwicklungen führten in der Regel dazu, dass sich die Partner*innen in diesen „ersten Lieben“ mit der Zeit in unterschiedliche Richtungen entwickelten, wodurch sich immer größere Spannungen in ihren Beziehungen aufbauten. Diese Spannungen waren dann auch der Grund dafür, dass diese „ersten Lieben“ häufig schon nach wenigen Monaten oder Jahren, auch wenn man es anfänglich nicht wahrhaben wollte, wieder vorbei waren.
Nach dieser ersten, häufig romantischen Liebe kam für viele meiner Freunde und Bekannte ein Umbruch. Ein Umbruch, der sie erst einmal nicht mehr an die romantische Liebe denken und sie suchen ließ, sondern nur noch die sexuelle. Sie suchten sich keine Partner*innen mehr, mit denen sie ihr Leben teilen wollten, nein, häufig suchten sie einfach nur noch das Abenteuer. Sie suchten die Auslebung ihrer sexuellen Triebe, wobei für einige bald nicht mehr nur primär die Auslebung ihrer Sexualität im Vordergrund stand, sondern etwas anderes. Einige meiner Freund*innen merkten in ihrer Jugend schnell, dass man durch die Auslebung der Sexualität Bestätigung erlangen und manch einmal auch Macht ausüben kann. Sie merkten, dass sie für ihre sexuellen Ausschweifungen Bestätigung finden konnten, frei nach dem Motto: „He, seht, wenn ich alles haben kann.“ oder „Seht her, ich bin doch keine Nullnummer, denn schließlich habe ich diese*n oder jene*n dazu bekommen, mit mir zu schlafen.“ Einigen meiner Bekannten wurde auch bewusst, welche Macht sie über andere erlangen und ausüben konnten, wenn sie andere dazu brachten, sie zu begehren oder „zu lieben“, ohne diese Liebe wirklich zu erwidern. Dieses einseitige Verlangen und Lieben machte es ihnen dann möglich, sich an dem Anderen, ihrem Opfer, zu bereichern. Sie bereicherten sich entweder materielle, indem sie sich Zuwendungen für den Hauch eines Versprechens erschlichen, oder seelisch, in dem sie sich Bestätigung und Zuwendung in langweiligen Stunden ergaunerten. Die Ausnutzung des sexuellen Verlangens und der einseitigen Liebe machte es ihnen möglich, sich zu bereichern, während der Liebende mehr oder weniger litt und nicht wirklich das bekam, was er von Herzen begehrte.
Diese zur Schau gestellte und gelebte „sexuelle Liebe“, sowie die Instrumentalisierung der Liebe für die eigenen Vorteile, waren mir zu wider, da sie meines Empfindens nach nichts mit der wirklichen Liebe zu tun hatten und das war auch der Grund dafür, dass ich in dieser, meiner Lebensphase, der Liebe keinen Platz in meinem Leben einräumte.

Doch die Zeit steht nie still und es vergingen wieder einige Jahre. Meine Freunde und Bekannten wurden älter und stießen sich ihre Hörner ab. Mit Mitte bis Ende zwanzig wurden schließlich viele meiner Freunde und Bekannten wieder etwas sesshafter und begannen einen Partner oder eine Partnerin zu suchen, um mit ihr eine Liebesbeziehung aufzubauen, die das Potential hat, die Zeit zu überdauern. Zu dieser Zeit begann auch ich mich wieder für die Liebe zu öffnen und nach einer möglichen Partnerin zu suchen, doch ich scheiterte erneut.
Ich weiß nicht genau, warum ich erneut scheiterte. Waren es meine zu hohen Erwartungen? War es, dass ich mir selbst im Weg stand und durch unüberlegte Kommentare und Bemerkungen potenziellen Partnerinnen vor den Kopf stieß? Oder war es gar so, dass ich Angst vor einer Beziehung hatte, da eine Liebesbeziehung eigentlich immer damit einhergehen, dass man sich selbst öffnet und einer anderen Person Einzug in die eigene Seelenwelt gibt? Einzug in das eigene Leben und die eigene Seelenwelt, wodurch man für den Partner besonders verletzlich ist. Wahrscheinlich sind es all diese Punkte zusammen, die mich keine feste Beziehung eingehen ließen.
Im Gegensatz zu mir hatten viele meiner Freund*innen und Bekannten nicht diese Probleme und gingen Liebesbeziehung ein, die im Gegensatz zu den ersten Liebesbeziehungen häufig Jahre überdauerten. Dadurch, dass sich immer mehr meiner guten Freundinnen fest banden, wurde es auch zunehmend für mich schwerer, überhaupt eine Frau zu finden, in die ich mich grenzenlos und uneingeschränkt verlieben könnte. Eine Frau zu finden, die ich lieben und mit der ich mir eine Beziehung vorstellen könnte, denn eine hoffnungslose, zerstörerische oder unerwiderte Liebe wollte ich nicht führen.
Dieses Schwinden möglicher Partnerinnen aus meinem Leben, mit denen ich mir vielleicht mehr als eine reine Freundschaft vorgestellt hätte, war dann auch der Grund dafür, dass ich meine Flucht vor der Liebe und den Gedanken an sie antrat. Meine Flucht vor mir selbst und vor meinen Gedanken und Gefühlen. Ich stopfte meinen Terminplan mit allen möglichen Veranstaltungen und Treffen voll, um nicht allein zu sein. Ich verabredete mich mit Bekannten und Freund*innen und flirte auch ab und an, aber immer ohne jemanden körperlich oder seelisch an mich heranzulassen. Es war eine Flucht, die schlagartig mit dem Einsetzen der Pandemie endete und mich ins Leere stürzen und nach der wirklichen Liebe suchen ließ.

Doch was ist jetzt eigentlich diese Liebe, die ich suche? Es ist eine romantische, nicht vordergründig sexuelle Liebe, die ich suche. Eine Liebe, zu einem Menschen, mit dem man sich über alles austauschen und durch die Zeit gehen kann. Es ist eine Liebe, in der man einander besser und besser kennenlernt und zusammen an den Herausforderungen unserer Zeit wächst. Eine Liebe, die auf Gegenseitigkeit beruht und kein seelisches oder materielles Abhängigkeitsverhältnis ist.

Ja, das und vieles mehr ist die Liebe, nach der ich suche. Mal sehen, ob es mir gelingt, sie noch in meinem Leben zu finden.

Published inEine letzte Liebesgeschichte

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