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Eine letzte Liebesgeschichte – Brief 4: Ein geselliger Abend, zum Ausklang der Pandemie?

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Liebe Freundin, langsam geht die aktuelle Pandemie, mit den Einschränkungen, die sie uns brachte, ihrem Ende entgegen. Sie geht ihrem Ende entgegen, da Wissenschaftler Vakzine gefunden haben, mit den sie uns Menschen impfen und zum Teil immunisieren können. So grassiert der krank machende Virus zwar immer noch um die Welt, verbreiten Angst, Schrecken, Tod und Leid und mutiert fröhlich vor sich hin, doch wir, in der „entwickelten Welt“, haben die Hoffnung, dass es besser wird. Die Hoffnung, die für einige zu spät kommt und andere dazu bringt, gleich wieder in die Vollen zu gehen, um ihr „altes Leben“ zurückzufordern, gerade so, als hätte es die aktuelle Pandemie nie gegeben.
Was mich betrifft, so freute ich mich auf die Lockerungen, die mit dem Sinken der Infektionswerte kamen. Ich freute mich darauf, wieder hinauszugehen und Freunde und Bekannte zu treffen. Hinaus, um auf kleine Feiern und Feste zu gehen, um auf ihnen wieder neue Leute kennenzulernen, was ich in der Pandemie aus Rücksicht auf andere und Selbstschutz überwiegend unterlassen habe.

Das erste Mal, das ich seit Anfang der Pandemie wieder etwas im größeren Kreis unternahm, war bei einem Freund, mit noch vier weiteren Personen. Wir verabredeten uns, um gemeinsam Essen zu kochen und anschließend einen Spielabend zu veranstalten. Von den geladenen Gästen kannte ich zwei noch nicht, so dass sich mir die Möglichkeit bot, meine eingerosteten „sozialen Kompetenzen“ hervorzuholen, aufzupolieren und mich im „Smalltalk“ zu versuchen. Es wäre das erste Mal, seit mehr als einem Jahr, dass ich sie zum Kennenlernen neuer Menschen benötigte und ich war gespannt, ob ich nichts verlernt hatte.
Am besagten Abend war ich zu früh bei meinem gastgebenden Freund, da ich es vor Vorfreude bei mir zuhause nicht mehr aushielt und dachte, dass ich ihn ja beim Kochen und Vorbereiten des Abends helfen könnte. Bei meinem Freund angekommen, begab ich mich dann auch gleich in die Küche und unterstützte ihn tatkräftig beim Zubereiten der Speisen, wobei wir uns angenehm unterhielten. Während wir so in der Küche die Töpfe, Pfannen und Messer schwangen, kamen auch die anderen Gäste und machten es sich im Wohnzimmer gemütlich. Als schließlich das Essen fertig war, trugen wir auf und begannen zu essen, wobei an diesem Punkt der schöne Abend für mich endete. Für mich endete der schöne Abend, der mit dem angenehmen ruhigen Gespräch, mit dem Gastgeber, begonnen hatte, beim Essen, da auf einmal alle anfingen durcheinander und laut zu reden. Sie redeten und redeten in einer Lautstärke, die ich einfach nur noch als anstrengend empfand. Na gut, vielleicht hatte ich zu viel von diesem ersten geselligen Abend nach über einem Jahr Pandemie erwartet. Doch wo mir vor der Pandemie erst Gruppen, bei denen mehr als zehn Personen zusammenkamen, wirklich anstrengend wurden, so war es an diesem Abend bereits eine Gruppe von sechs Menschen. Es waren fünf Menschen, außer mir, deren Gespräche mir zu anstrengend, da zu laut und aufdringlich, wurden!
Doch der Grund für die Überlastung, die ich in Gegenwart der Personen empfand, war nicht nur die Lautstärke, nein, auch der Eindruck, dass sich die Anwesenden am liebsten selbst reden hörten, trug zu meiner mentalen Überlastung bei. War es vor der Pandemie noch so, dass es mir relativ gut gelang, in größeren Gruppen andere Menschen, mit denen ich nicht direkt sprach, bis zu etwa zehn Leute, auszublenden und mich ganz auf meinen jeweiligen Gesprächspartner einzulassen, so gelangen es mir an diesem Abend nicht mehr. Nicht einmal in dieser kleinen Gruppe von sechs Menschen. Es gelang mir nicht, da sich die verschiedenen Gesprächsgruppen versuchten gegenseitig zu übertönen, so dass sich die Stimmen der Anwesenden zu einer Kakophonie auswuchsen. Doch nicht nur das, darüber hinaus gierten die Anwesenden auch um die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden. Sie wollten von sich erzählen und schon bald schien es einen Wettkampf darum zu geben, wem es denn in der Pandemie am schlechtesten ergangen ist und wie sie gedächten, wieder ihre alten Leben zurückzubekommen, ganz genau so, als hätte es die Pandemie und das, was sie uns lehrte, nie gegeben. Sie sprachen davon, wie sie wieder gedächten um die Welt zu jetten und große Partys zu feiern. Sie wollten zurück in ihre alten Leben, gerade so, als würde sich nicht bereits der nächste Wellenberg einer weiteren Katastrophe, nämlich die des Klimawandels, immer höher vor uns auftürmen. Des Klimawandels, der uns und unsere Leben genauso wie die noch anhaltende Pandemie, wenn nicht sogar stärker, bedroht. Doch die Menschen, zu denen meine Freunde und Bekannten zählen, wollen wieder gedankenlos ihre alten Verhaltensweisen leben. Sie wollen wieder genau das tun, was bereits die aktuelle Pandemie begünstigte und schnell um die Welt trug.
An diesem Abend musste ich an mich halten, um nicht einfach aufzustehen und zu gehen. Ich musste an mich halten, um nicht alten Freunden vor den Kopf zu stoßen. So zog ich mich in mich selbst zurück und kämpfte im Stillen, alle bösen Erwiderungen und die Bitternis, die ich durch die Kommentare meiner Bekannten in meinem Herzen verspürte, nieder. Ich kämpfte und versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Schließlich kam die Zeit des Abschiednehmens und ich war froh darüber, da das für mich hieß, dass dieser anstrengende Abend endlich vorbei war. Der Abend war vorbei und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mit den zwei Anwesenden, die ich vor diesem Abend noch nicht kannte, kein Gespräch geführt hatte. Ich hatte die Chance vertan neue Leute kennenzulernen, obwohl ich mich, bevor dieser Abend begann, so darauf gefreut hatte!
Auf dem Nachhauseweg fragte ich mich dann, was nur mit mir los war, dass ich die Gesellschaft der anderen, obwohl ich mich so auf sie gefreut hatte, nicht wirklich genießen konnte. Ich kam zu der Überzeugung, dass ich mich während der Pandemie, noch mehr als früher, an die Ruhe gewöhnt hatte. Ich hatte mich während der Pandemie daran gewöhnt, im Privaten hauptsächlich Menschen zu treffen, die ich mochte und deren Bekanntschaft mir etwas bedeutete. Ich traf hauptsächlich mir wichtige Menschen und das eigentlich nur im kleinen Kreis, so dass man sich über alles austauschen und tiefergehende Gespräche führen konnte. Im kleinen Kreis konnte man einfach Gespräche führen, die in einer größeren Gruppe nie möglich sind.
Über diesen Gedanken wurde mir auch bewusst, dass ich „Smalltalk“ nicht mag. Ich mag ihn nicht, da er eigentlich nur Dinge behandelt, die für mich, mein Leben und die Welt, im Großen und Ganzen, unwichtig sind. Doch worüber soll ich mich unterhalten, wenn ich die Themen, die der „Smalltalk“ umfasst, nicht mag? Über den Konflikt in Israel? Darüber, wie Macht dazu neigt, die Leute zu korrumpieren, die sie besitzen? Vielleicht auch darüber, wie ignorant mir all die Menschen vorkommen, die einfach nur sich und ihr Leben sehen und es grenzenlos ausleben wollen, ohne die Konsequenzen ihres Handelns zu bedenken? Ja, darüber könnte ich reden, wenn ich meine Gesprächspartner vergraulen wollte, denn in diesen Gesprächsthemen liegen so viele Stolperfallen und unterschiedliche Meinungen, dass sie nicht wirklich dazu geneigt sind, neue Bekanntschaften auf Feiern zu schließen.

Da ich aber für mich entschieden hatte, dass ich wieder mehr Menschen kennen und Bekanntschaften schließen müsste, um dabei vielleicht die eine Frau kennenzulernen, mit der ich seelenverwandt bin und mir eine Liebesbeziehung vorstellen könnte, sprach ich mit zwei Bekannten über meine Erfahrungen, die ich am besagten Abend gemacht hatte. Meine Bekannten lachten, als sie hörten, wie ich diesen Abend empfunden hatte und beide meinten einhellig, dass das Kennenlernen neuer Menschen in der realen Welt vollkommen überschätzt werde. Da man einfach über den Bekannten- und Freundeskreis zu wenig neue Leute kennenlernt. Sie meinten, dass man gleichgesinnte eigentlich nur noch über Social-Media-Plattformen und verschiedene Chatgruppen fände. Sie brachten dabei explizit zum Ausdruck, dass es heutzutage sehr schwer sei, die Partnerin fürs Leben durch zufällige Treffen in der realen Welt zu finden, besonders dann, wenn einen wie mich, größere Gruppen stressten. Schlussendlich meinten Sie, dass es für mich, mit meiner Einstellung und meinem Weltbild, eigentlich nur die Möglichkeit des „Onlinedating“ gäbe, um eventuell eine Frau fürs Leben zu finden.
Das gesagt holte einer meiner Bekannten sein Smartphone aus der Tasche und öffnete eine App. Er zeigte mir die App und meinte dazu: „Wenn du wirklich neue Leute und vielleicht sogar die Frau für ein paar schöne Stunden kennenlernen möchtest, kann ich dir diese App nur empfehlen. Mit einem Wich nach rechts, legst du die Guten ins Töpfchen, und mit einem Wich nach links die Schlechten ins Kröpfchen.“ Ich war schockiert von der Selbstverständlichkeit, wie meine zwei Bekannten von der App sprachen und davon, wie sie andere Menschen, nur aufgrund ihres Aussehens, in gute und schlechte potenzielle Partnerinnen, oder eher „potenzielle sexuelle Gespielinnen“ einteilten? Die App kam mir wie ein moderner Sklavenmarkt vor, wobei beide Geschlechter, die die App nutzten, um eine*n Partner*in zu finden, sich zu Sklaven ihres körperlichen Begehrens, also ihrer körperlichen Lust, machten.
Diese Bedenken äußerte ich auch gegenüber meinen beiden Bekannten, worauf sie kopfschüttelnd ihr Unverständnis zeigten und einer gar meinte: „Also, bei den meisten Bildern sieht man ja schon zwei Charakterzüge, die bei einer Frau besonders wichtig sind.“, nur um dann nachzuschieben: „Nur Spaß, nur Spaß. Es gibt auch andere Dating-Apps und Webseiten. Man muss sich nur etwas informieren und dann findet man schon etwas, das zu einem passt.“
Doch ich konnte den Worten meiner Bekannten keinen Glauben schenken. Ich konnte ihnen ihre Ausführungen nicht glauben, da ich ein zutiefst in der „analogen Welt“ verwurzelter Mensch bin. Immer, wenn ich mich online mit Menschen austausche, die ich noch nicht gut kenne, frage ich mich, ob sie gerade wirklich ehrlich sind oder versuchen, mich zu beeinflussen, sich selbst gut darzustellen oder sonstige Hintergedanken haben. Kurz, in der digitalen Kommunikation fehlt mir die nonverbale. Mir fehlt die nonverbale Kommunikation, die mir sehr wichtig ist, da sie häufig mehr über einen Menschen verrät als tausend Worte. Ich brauche die nonverbale Kommunikation, um Menschen kennen und vertrauen zu lernen. Ich brauche die unbewussten Bewegungen, den Augenkontakt, um einfach einschätzen zu können, ob eine Person etwas ernst meint oder nur Schönmalerei betreibt.
Auch diese Gedanken teilte ich meinen beiden Bekannten mit, worauf sie nur den Kopf schüttelten. Sie meinten, dass man heutzutage auch gar nicht mehr die Zeit hätte, um in der realen Welt zufällig Menschen kennen- und liebenzulernen, da es den meisten Menschen einfach nicht mehr wichtig sei. Sie sagten, dass den meisten Menschen die Versprechungen und Verheißungen der Dating-Apps und Dating-Webseiten genau ins Leben passten. Denn warum sollten sie kostbare Lebenszeit mit der Suche in der realen Welt verschwenden, wenn sie doch mit ein paar Klicks hunderte Vorschläge für potenzielle Partner*innen erhielten und sie dann ihre übriggebliebene freie Zeit zum Treffen von Freund*innen oder anderen Freizeitaktivitäten verwenden könnten?
Ich verstand die Logik meiner Bekannten. Ich verstand, was sie mir sagen wollten, auch wenn ich es nicht mochte. Als ich so über ihre Aussagen nachdachte, wurde mir auch bewusst, dass sie zumindest zum Teil recht hatten. Doch was bedeutete das jetzt für mich? Was bedeute das für mich, als einen Menschen, der zutiefst in der „analogen Welt“ verankert ist und der digitalen Welt mehr als skeptisch gegenübersteht?

Nach diesem Gespräch mit meinen beiden Bekannten fragte ich mich, ob ich doch einmal das „Onlinedating“ ausprobieren sollte. Doch schon bald schob ich diesen Gedanken beiseite, da ich mich bei ihm unwohl fühlte. Ich fühlte mich unwohl, Menschen versuchen kennen- und liebenzulernen, die ich nicht sehen konnte und so beschloss ich, trotz das mir große Personengruppen häufig eine Qual sind, eins-zweimal pro Monat doch Veranstaltungen mit mehreren Menschen zu besuchen. Sei es ein Treffen mit Freunden und Bekannten, der Besuch eines Festes oder irgendeine andere Veranstaltung. Vielleicht gelingt es mir ja so neue Freunde und Bekannte und darüber hinaus sogar die Liebe meines Lebens kennenzulernen.

Published inEine letzte Liebesgeschichte

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