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Eine letzte Liebesgeschichte – Brief 5: Ein freundschaftliches Treffen?

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Liebe Freundin, wir Menschen sind schon komische Wesen. Wir sind Wesen, die sich tagtäglich über Gott und die Welt austauschen, sei es schriftlich oder im Gespräch. Wir kommunizieren ständig miteinander und unsere kulturelle Entwicklung hat uns einen ziemlich großen Wortschatz an die Hand gegeben, mit dem wir eigentlich alles, en dé­tail, beschreiben und ausdrücken können. Trotz der Möglichkeiten, die uns die Benutzung der Sprache bietet, bedienen wir uns ihrer in manchen Situationen nicht, sondern sind der Meinung, dass unsere nonverbale Konversation, also unserer Verhalten, schon für sich spräche und unmissverständlich sei.
Nicht das du mich falsch verstehst, ich weiß, dass die nonverbale Kommunikation ein wichtiger Bestandteil unserer Leben ist, doch ist sie häufig nicht eindeutig, da sie im Laufe unseres Lebens eine kulturelle und soziale Prägung erfährt. Unsere nonverbale Sprache und was wir mit ihr ausdrücken oder was wir unter ihr verstehen hängt stark davon ab, in welchem sozialen Umfeld wir aufwuchsen und was unsere Einstellung zu bestimmten Dingen ist.
Doch warum schreibe ich dir das? Ich schreibe dir von den Missverständnissen der nonverbalen Kommunikation und der Wichtigkeit sich nicht alleinig auf sie zu verlassen, da ich aus Unverständnis eine gute alte Freundin verletzte. Ich schreibe dir, um zu berichten, wozu es kommen kann, wenn man sich nur auf die nonverbale und nicht wörtliche Sprache verlässt. So möchte ich dir von einem Treffen mit einer Freundin berichten, die sich scheinbar mehr erhoffte, als sie mir mit Worten sagte, und aufgrund dessen im Anschluss böse auf mich war und nicht mehr mit mir sprach.

Es war ein Donnerstag, als mich die Freundin anschrieb und fragte, ob ich nicht Lust hätte mit ihr samstags spazieren und anschließend noch etwas Essen zu gehen. Da ich am besagten Tag noch nichts vorhatte, stimmte ich zu und so trafen wir uns.

Wir trafen uns am Samstagmorgen, am Bahnhof und liefen dann los. Wir liefen einfach, bis wir an einem Flusslauf ankamen, dem wir dann folgten. Während wir so liefen, unterhielten wir uns gut, wobei ich sagen muss, dass meine alte Freundin hauptsächlich sprach und ich mich mit der Rolle des interessierten Zuhörers, der ab und an mal nachfragt, zufriedengab. Die Stunden vergingen und als die Mittagszeit kam, suchten wir uns ein gemütliches Plätzchen um eine Kleinigkeit zu essen. Dafür holte ich aus meinem Rucksack eine Tüte mit Brezeln und eine Büchse mit Hefeaufstrich heraus und sie etwas Obst. Wir ließen es uns munden und als wir unseren Hunger gestillt hatten, packten wir unsere Sachen wieder zusammen und setzten unseren Spaziergang fort.
Doch etwas hatte sich verändert. Waren wir vor dem Essen noch im Abstand von etwa einem Fuß zueinander gelaufen, so hakte sie sich jetzt bei mir unter. Als sie das tat, dachte ich mir nichts dabei, denn ich hatte ja schön häufiger gesehen, dass sich Freunde und Bekannte unterhaken und so liefen wir einfach, unsere Arme ineinander gehakt, weiter, während sie von sich und ihrem Leben erzählte.
Wir liefen und der Mittag wurde zum Nachmittag und ging schließlich in den Abend über. Am Abend schließlich kehrten wir noch in ein Restaurant ein, um noch etwas zu essen. Auch das gemeinsame Abendessen im Restaurant war angenehm und wir unterhielten uns weiter gut und ausführlich. Als wir schließlich fertig gegessen hatten, war ich müde und beschloss mich zu verabschieden, um nachhause zu gehen. So verabschiedete ich mich, worauf meine Freundin fragte, ob ich nicht noch Lust hätte, mit zu ihr zu kommen, um noch einen Film zu schauen. Ich verneinte ihre Frage, da ich einfach nur noch müde war und in mein Bett wollte, sagte aber, dass mir der Tag gefallen hätte und wir ja vielleicht irgendwann einmal wieder spazieren oder etwas anderes unternehmen könnten. Auf meine Ausführungen hin nickte sie nur kurz und sagte: „Bye!“
Sie sagte „Bye!“, drehte sich um und ging. Ich blieb alleine stehen und fragte mich, was denn auf einmal los war. Ihre Stimme klang bei der Verabschiedung auf einmal traurig und sie hatte mich auch nicht umarmt, wie sie es sonst immer tat. Doch da mich diese Gedanken nirgendwohin führten und ich einfach müde war, schob ich sie bei Seite und begab mich zu mir nachhause.

Die folgenden Wochen waren anstrengend für mich, da ich auf Arbeit viel um die Ohren hatte. Als es schließlich wieder etwas ruhiger geworden war, dachte ich, dass ich ja mal meiner alten Freundin schreiben und fragen könnte, ob sie nicht Lust hätte, etwas zu unternehmen. Das gedacht, tat ich es. Doch es kam keine Antwort. Als sie mir auch nach einer Woche noch nicht geantwortet hatte, machte ich mir Sorgen und versuchte sie anzurufen, doch sie ging nicht ans Telefon. Schließlich fragte ich eine Bekannte von uns beiden, ob sie wisse, ob mit meiner alten Freundin alles in Ordnung sei, worauf sie mich böse anfunkelte und meinte: „Da fragst du noch!“
Ich war irritiert. Hatte ich irgendetwas Falsches getan oder gesagt. Mir fiel nichts ein und so versuchte ich herauszubekommen, was los war. Die Antwort darauf gab mir schließlich ein anderer Bekannter von meiner alten Freundin und mir. Der Bekannte meinte, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wolle, da ich ihre Gefühle verletzt hätte, indem ich sie kalt abwies.
Ich war perplex. Wann sollte ich denn meine alte Freundin abgewiesen haben? Mir war das nicht bewusst. So fragte ich meinen Bekannten danach und er meinte: „Mal ehrlich, bekommst du gar nichts mehr mit? Sie war total in dich verschossen und dann weist du sie ab, indem du lieber in dein Bett gehst, als noch etwas mit ihr zu unternehmen. Doch als wäre das noch nicht schlimm genug, so meldest du dich dann auch noch zu allem Überfluss über Wochen hinweg nicht bei ihr!“ Ich war irritiert und meinte zu meinen Bekannten, dass ich dachte, dass wir einfach nur befreundet sein. Da lachte er und sagte, dass das bereits das vierte Mal in den letzten sechs Jahren gewesen sei, dass er mitbekommen habe, dass ich einfach nichts raffe. Er fragte mich, ob ich denn wirklich nicht merkte, wenn eine Frau an mir interessiert ist, worauf ich erwiderte, dass noch keine etwas in die Richtung gesagt habe und ich, wenn ich Menschen kennenlerne, eher davon ausgehe, dass sie vielleicht Freunde werden, anstatt gleich die Liebe meines Lebens, wobei die Liebe meines Lebens auch eine ziemlich gute Freundin sein müsste.
Auf diese Antwort hin schüttelte mein Bekannter nur seinen Kopf und meinte, dass ich doch gemerkt haben müsste, dass meine alte Freundin plötzlich den Kontakt, auch den körperlichen, gesucht habe und ob ich mich nie gefragt hätte, ob zwischen uns mehr als nur Freundschaft bestehen könnte. Da dachte ich nach und meinte schließlich: „Nein, ich habe nie darüber nachgedacht. Ich lernte sie kennen, als sie in einer Beziehung war und wir wurden einfach Freunde. Wir wurden Freunde und da wir recht gut miteinander klarkamen, fragte ich mich nie, ob mehr als unsere Freundschaft sein könnte. Selbst dann, als sie sich von ihrem Freund trennte und begann häufiger etwas mit mir zu unternehmen, dachte ich nicht darüber nach. Ich dachte einfach, dass sie sich wieder einen größeren Freundeskreis aufbauen und ihre Freizeit, die sie aufgrund der Abwesenheit eines Freundes wieder vermehrt hat, füllen wollte, um nicht alleine zu sein. Aber der Gedanke, dass sie an mir interessiert sein könnte, kam mir nie. Und wie bereits gesagt, hörte ich kein Wort, dass in die Richtung hätte gehen können, aus ihrem Mund.“
Da sah mich mein Bekannter nur noch mitleidig an und meinte: „Aber man merkt doch, wenn jemand auf einmal mehr den Kontakt, auch den körperlichen, sucht. Das fällt doch auf!“ „Es fällt schon auf, doch kann es dafür nach meiner Erfahrung mehrere Gründe geben, die nichts mit Liebe zu tun haben. So ist es beispielsweise in einem Teil meines Bekanntenkreises nicht unüblich, dass man sich zur Begrüßung und zum Abschied umarmt. Es ist nicht unüblich, dass man nebeneinander sitzt und sich aneinander anlehnt oder auch das Essen teilt, einfach, weil man gut miteinander klarkommt. Im Gegensatz dazu gibt es einen Teil meines Bekanntenkreises, der jeglichen körperlichen Kontakt, außerhalb einer Liebesbeziehung, skeptisch gegenüber steht und höchstens noch Hände zur Begrüßung schütteln, akzeptabel findet. Mit diesem Bekanntenkreis komme ich auch super klar und bin gut mit ihnen befreundet, auch wenn sie das aneinander Anlehnen und Essenteilen schon fast als fremdgehen ansehen.“ „Ja, aber bei diesen Personen ist das ja in der Regel immer so. Du hast sie so kennengelernt, aber bei den anderen, so wie bei deiner alten Freundin, muss dir doch aufgefallen sein, dass sich ihr Verhalten dir gegenüber plötzlich verändert hat, da sie plötzlich den körperlichen Kontakt suchten, was sie vorher nie taten!“ „Ja, es ist mir schon aufgefallen, doch warum sollte ich es hinterfragen und in es irgendetwas hineininterpretieren, wenn es doch auch einfach sein kann, dass sie sich, solange sie in einer Partnerschaft lebten, zurücknahmen, damit ihre Freunde nicht eifersüchtig werden? Vielleicht hatten ihre Freunde ja eine andere Einstellung dazu, wieweit das Miteinander in einer Freundschaft gehen darf und sie nahmen sich deshalb zurück? Es gibt so viele Möglichkeiten, also warum kleine Änderungen hinterfragen, sich mit Gedanken quälen, die alles oder auch nichts bedeuten können?“ Als ich das gesagt hatte, meinte mein Bekannter nur noch, dass bei mir alles zu spät sei und auf meine nachhakende Frage, warum meine alte Freundin denn nicht gesagt habe, dass sie mehr als eine einfache Freundschaft möchte, winkte er nur ab und meinte, dass ich auf ewig dazu verdammt wäre, potenziellen Partnerinnen vor den Kopf zu stoßen, wenn ich nicht verstünde, dass einfache nonverbale Gesten den Menschen leichter fallen, als ihre Gedanken zu formulieren und auszudrücken, da man dafür erst einmal die richtigen Worte finden muss und darüber hinaus eine darauffolgende Ablehnung häufig mehr schmerzt, als bei einer nicht erwiderten Geste, bei der man sich selbst einreden kann, dass der andere sie nicht verstand.

Mit dieser Erwiderung beendete mein Bekannter auch unser Gespräch und ließ mich alleine mit meinen Gedanken zurück. Ich fragte mich, ob ich wirklich blind für die nonverbalen Gesten bin, die mehr als freundschaftliche Zuneigung ausdrücken. Ja, vielleicht. Aber sollte ich deswegen jede Handlung, jedes sich verändernde Verhalten einer Bekannten oder Freundin hinterfragen? Sicherlich nicht, da dass nur zu Spannungen in den Freundschaften führen kann. Aber vielleicht, ja vielleicht, sollte ich, wenn ich mir bei bestimmten Zeichen nicht sicher bin, sie beobachten und aktiv die Kommunikation suchen, um herauszufinden, ob ich doch etwas falsch verstand oder übersah. Ja, das könnte ich machen. Schade nur, dass ich eine gute alte Freundin verlieren musste, um mir selbst bewusst zu machen, dass ich meinen Mut zum Fragen zusammennehmen muss, wenn mir eine Veränderung auffällt, anstatt sie einfach mit einem Schulterzucken hinzunehmen und weiter wie bisher zu machen.

Published inEine letzte Liebesgeschichte

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