Zum Inhalt springen

Eine letzte Liebesgeschichte – Brief 9: Wenn fast alles passt

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Liebe Freundin, manch einmal weiß man gar nicht wie einem passiert und man findet sich in einer Position, in der zwischenmenschlich alles passt und man eine Liebesbeziehung eingeht. Zumindest erging es mir so.
Vor neun Monaten lernte ich bei einer Veranstaltung eine Frau kennen, die neu in die Gegend gezogen war. Wir verstanden uns auf Anhieb gut und unternahmen ab diesem ersten Treffen regelmäßig etwas zusammen. So wurden wir über den Zeitraum von fünf bis sechs Monaten erst Bekannte, schließlich Freunde und schon bald sehr gute Freunde. Als wir dann, vor etwa drei Monaten, mal wieder etwas gemeinsam zum Abend kochten und aßen, sah sie mich beim Essen plötzlich eine Zeitlang aufmerksam an und meinte dann: „Manch einmal frage ich mich, ob wir wirklich nur ‚gute Freunde‘ sind und nicht eigentlich schon ein Paar. Zumindest fühlt sich unsere Bekanntschaft für mich manch einmal schon wie eine Liebesbeziehung an.“ Von ihrer Aussage etwas irritiert, sah ich sie einen Moment lang schweigend und verdutzt an, bevor ich in mich hinein hörte und meinte: „Können wir denn nicht beides sein? Können wir nicht einfach sehr gute Freunde und ein Liebespaar sein?“ Darauf lächelte sie, stand auf, kam zu mir und setzte sich auf meinen Schoß. Dort sitzend lächelte sie mich immer noch keck an und dann küssten wir uns zum ersten Mal. Wir küssten uns ganz zärtlich und ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich meine Partnerin in diesem Moment am liebsten für immer in den Armen gehalten und geküsst hätte. Am liebsten hätte ich sie für immer festgehalten, denn mit jedem Kuss, den wir austauschten, begann mein Herz schneller zu schlagen und ich mehr und mehr ihre körperliche Nähe, ihre Wärme an meinem Körper, zu genießen. Doch jeder Moment geht einmal vorbei und so lösten wir uns schließlich voneinander und beendeten unser jetzt kaltes Abendessen, als das erste gemeinsame Essen unserer Liebesbeziehung.

Die drei darauffolgenden Monate, die seitdem vergingen, lernten wir uns neu, sowohl sozial, romantisch als auch intim kennen. Wir lernten uns auf eine neue Art kennen und ich muss sagen, dass zwischen uns wirklich fast alles passt. Um es kurz zu machen, das romantische und intime kennenlernen war aufregend für mich. Das Kennenlernen der persönlichen Vorlieben meiner Partnerin, um sie genussvoll zu verwöhnen, als auch das romantische Vorspiel. Ich muss sagen, das es sowohl auf romantischer als auch auf intimer Ebene gut zwischen uns klappt. Die Stolpersteine, denen wir auf unserem Weg zur glücklichen Partnerschaft begegneten, waren eher sozialer, wenn nicht gar gesellschaftlich geprägter Natur.
Einer der Stolpersteine war, dass wir unserer beider Leben, die sich zwar in einigen Bereichen überschnitten, versuchten parallel auszurichten und laufenzulassen, so dass wir gemeinsam mehr Zeit, als vor dem Beginn unserer Beziehung, miteinander verbringen konnten. Zu diesem Parallelisieren unserer Leben in unserer Liebesbeziehung gehörte auch, das gegenseitige Kennenlernen der jeweiligen Freude, da sie einen Großteil unserer Freizeit und unser Leben prägten und bestimmten. So fingen wir an ausloten, ob wir mit dem Freundeskreis des jeweils anderen klarkommen und ob sich die Freundeskreise auch untereinander verstanden. Zu meinem Glück stellte ich fest, dass ich mit dem Freundeskreis meiner Partnerin recht gut klarkomme, auch wenn sie sicherlich nicht zu guten Freunden von mir würden. Umgekehrt sah es auch ähnlich zwischen meiner Partnerin und meinen Freunden aus. Doch schon bei dem ersten Versuch gemeinsam mit unserer beider Freundeskreisen etwas zu unternehmen, stellten wir fest, dass unsere Freundeskreise nicht miteinander kompatibel sind. Wir stellten das an einem geselligen Abend fest, zu dem wir beide eingeladen hatten. Am besagten Abend kam es über eigentlich harmlose Diskussionen dazu, dass sich unsere Freundeskreise in zwei Lager aufteilten und sie sich dann gegenseitig angifteten und Ignoranz vorwarfen. In diesem Moment stellten wir fest, dass die Weltanschauungen unserer beider Freundeskreise zu verschieden waren, als dass wir mit beiden einmal einen schönen Abend verleben könnten. So war auch dieser Abend gelaufen, denn den ganzen restlichen Abend verbrachten meine Partnerin und ich damit, die Wogen der Diskussionen zu glätten und zu versuchen, dass sich keine*r unnötig stark vor den Kopf gestoßen oder verletzt fühlt und uns dafür vielleicht sogar die Schuld gibt.
Um es kurz zu machen, für uns beide, also meine Partnerin und mich, war es kein angenehmer und erholsamer Abend, sondern ein eher anstrengender, so dass wir beschlossen, mit Ausnahme von einigen wenigen Freund*innen, die beiden Freundeskreise voneinander getrennt zu halten.
Doch, das war nicht der einzige Punkt, der zu Spannungen führte, auch das generelle Einladen von Freund*innen, also was wir von unseren Gästen erwarten, führte zu Spannungen, auch wenn ich das vorher nie geglaubt hätte. So führte weniger die Frage, wen wir denn Einluden zu Spannungen, als viel mehr die Frage, ob die Gäste etwas mitbringen sollten oder nicht. So vertrat ich die Einstellung, dass man Freund*innen einfach mal zum Grillen oder Abendessen einladen konnte, ohne zu erwarten, dass sie irgendetwas zu den Getränken oder Speisen beitrugen, einfach, weil es gute Freund*innen waren. Im Gegensatz zu dieser, meiner Einstellung, fand meine Partnerin, dass Gäste etwas mitbringen sollten, damit nicht die ganze Arbeit an den Gastgeber*innen hängen bliebe. So wäre es ja nicht zu viel verlang, wenn jemand ein paar Getränke, eine*r vielleicht einen Salat und wieder ein*e andere*r Dessert mitbrächte. Sich also alle Gäste an den Kosten des geselligen Beisammenseins beteiligten und man sich nicht als Gönner*in positioniert, der oder die sich dann von seinen „Freund*innen“ ausnutzen lässt. Meine Erwiderung darauf war, dass ich ja nur gute Freund*innen einlüde, die ich schon länger kenne und ich über die Jahre immer wieder die Menschen als Freund*innen aussortiert hätte, die sich nur meine „Freund*innen“ nannten, um Nutznießer*innen zu sein. Ich erwiderte ihr, dass in meinem Freundeskreis nicht alle über die finanziellen Mittel, die Zeit oder die Kochkünste verfügten, um immer etwas mitzubringen oder einmal selbst ein Essen zu geben. Ich erwiderte ihr, dass man ja andere Menschen auch einfach mal so einladen könne, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, einfach, weil man mit ihnen gut klarkommt, sie für einen in schwierigen Zeiten und Situationen da waren und auch noch sind, und das doch wichtiger wäre, als die materielle Beteiligung an der Ausrichtung eines geselligen Abends oder sonstiger Veranstaltung.
Um es kurz zu machen, bei diesem Punkt kamen meine Partnerin und ich nicht wirklich auf einem gemeinsamen Nenner. Doch wollten wir uns auch über diesen Punkt nicht unnötig viel streiten und verblieben deswegen so, dass ich zu mir Gäste einladen konnte, wie ich es für richtig hielte, wobei ich dann auch für alle Einkäufe, das Kochen und das finanzielle zuständig wäre. Sollte sie stattdessen einmal zu einer Veranstaltung einladen, so liefe sie dann nach ihren Regeln ab und sie würde dann die Gäste darum bitten, etwas zur Veranstaltung beizutragen. Ich bin mal gespannt, wie sich der Kompromiss bewährt und wie sich unsere Einstellungen zu diesem Thema mit der Zeit entwickeln.

Doch nicht nur das in Einklang bringen unserer Leben fand statt. Nein, mir fiel auch auf, dass das „wir“ Einzug in mein Leben und meinen Sprachgebrauch hielt. So kam es mit voranschreiten unserer Liebesbeziehung immer häufiger vor, dass ich auf die Frage: „Wie geht es dir?“, antwortete: „Uns geht es gut.“ Wie selbstverständlich begann ich, nicht mehr von ‚mir‘, als ein Individuum zu denken, sondern als ‚uns‘ als ein nur gemeinsam bestehendes Paar. Ich muss zugeben, dass mir dieser Verlust des individuellen, als er mir auffiel, Angst machte. Es machte mir Angst, da ich meine Partnerin zwar sehr mochte und, wenn ich ehrlich bin, auch liebte, es aber wenig erstrebenswert fand, gänzlich in unserer Liebesbeziehung aufzugehen. Nein, man sollte doch noch ein Individuum mit Ecken und Kanten bleiben, dass sich auch klar, abseits der Liebesbeziehung definiert und existiert. Man muss doch ein Stück weit ein eigenständiges Wesen bleiben, um nicht in kompletter Abhängigkeit des Partners oder der Partnerin zu leben. Man muss in einer Beziehung doch auch noch etwas haben, das die Zeit überdauert und bleibt, wenn die Beziehung einmal zu Ende geht, wie es heutzutage ja leider viel zu viele Beziehungen tun. Man muss noch etwas abseits der Beziehung haben, das einen selbst ausmacht, da man sonst vor dem Nichts steht, wenn durch Schicksalsschlag oder das Auseinanderleben der Partner*innen eine Liebesbeziehung einmal nicht mehr existiert. Denn das ‚Nichts’ das für viele folgt, die ganz in einer Partnerschaft aufgingen, kann leicht in eine komplette Selbstzerstörung münden, besonders dann, wenn man sich nur noch über seine*n Partner*in definierte. Oder irre ich mich da? Nein, ich glaube nicht, denn viel zu häufig sah ich bei Freund*innen und Bekannten, die komplett in ihren Liebesbeziehungen aufgingen, dass sie an deren Ende vor dem Nichts standen und es ihnen dann nicht mehr gelang, ein neues Leben, abseits ihrer vergangenen Partnerschaft aufzubauen, was nicht selten in selbstzerstörerischen Lebensweisen endete. Besonders sah ich diese Selbstzerstörung am Ende einer Partnerschaft bei Menschen gehobenen Alters, die lange in einer Partnerschaft lebten und aufgrund dessen ihre Lebensweisen komplett auf den Partner oder die Partnerin eingestellt hatten und der Verlust des Partners oder der Partnerin dann zu einer großen, nicht mehr füllbaren Lücke in ihren Leben führte. In jungen Jahren hätten sie vielleicht schnell die Lücke überwunden und mit neuer Liebe gefüllt, doch je älter man wird, desto festgefahrener werden die Lebensweisen und das Ändern und sich auf andere einlassen wird schwerer und schwerer. Es wird schwerer und manche schaffen es dann nicht mehr, alleine zu existieren und gehen ins psychische oder physische Nichts.

Du siehst, meine liebe Freundin, es hat für mich ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Ein Lebensabschnitt mit einer Partnerin, mit der ich versuche gemeinsam und glücklich von hier an durch die Zeit zu gehen. Ein Lebensabschnitt der für mich neu und aufregend ist und sicherlich noch viele Herausforderungen bereithält.
Doch egal wie die Herausforderungen auch aussehen werden, ich werde sie in Angriff nehmen und versuchen das Beste aus ihnen zu machen. Ich werde versuchen, die Liebesbeziehung, die ich einging, so zu führen, dass ich das Leben meiner Partnerin bereichere und besonders in den Momenten für sie da sein werde, in denen sie mich braucht. Dabei werde ich aber immer versuchen, ich selbst zu sein und zu bleiben. Ich, als ein selbstständiges Wesen mit eigenen Interessen. Mal sehen, ob mir der Spagat gelingt und unsere Liebesbeziehung ihn aushält. Sicher ist nur, dass ich mich momentan wirklich glücklich fühle und die vor mir liegende Zeit sicher eine erfahrungsreiche und prägende für mich sein wird. Doch davon werde ich dir sicherlich in weiteren Briefen berichten.

Published inEine letzte Liebesgeschichte

Diese Webseite verwendet nur technische Cookies, die zur Funktion der Webseite notwendig sind. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du ihrer Verwendung zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen